In der Pause nach einem Vortrag stehen Konferenzteilnehmerinnen und -Teilnehmer beieinander und tauschen ihre Eindrücke aus: „Die Studienergebnisse finde ich wirklich beeindruckend. Ich mache ähnliche Beobachtungen, aber diese Zahlen haben mich überrascht.“ „Zahlen und Grafiken finde ich furchtbar trocken. Aber die Fallschilderung – ich frage mich, ob ich mich selbst ähnlich verhalte.“ „Ich finde es sehr gewagt, aus dieser Studie so weitreichende Schlüsse zu ziehen. Für mich ist das Ganze wenig plausibel.“ „Ich kann mit diesem Thema überhaupt nichts anfangen. Könnt Ihr mir erklären, was daran so spannend sein soll?“

Vier Personen – vier Meinungen. Wie kommt es dazu?

Erwachsene verfügen über gewachsene Denkstrukturen: Deutungsmuster für ihre Erfahrungen, bewährte Denkwege, um Probleme zu lösen.
Person A helfen die Zahlen, um ihre eigenen Beobachtungen einordnen zu können. Person B lernt anhand von Erzählungen, die ihr zu denken geben. Person C weist die Darstellung des Vortrags zurück, da diese empirisch nicht ausreichend begründet sei, und Person D findet keinen Zugang zu der Thematik – vielleicht bringt sie der Austausch mit den anderen auf Ideen,

Sich an Teilnehmenden orientieren heißt anschlussfähig kommunizieren.

Damit neue Informationen gedanklich verarbeitet werden können, müssen sie an vorhandenes Wissen und Erfahrungen anschließen. Lernarrangements beziehen die bisherigen Lern- und Bildungserfahrungen und die eingeübten Denkwege der Teilnehmenden ein. Angeeignet wird neues Gedankengut dann, wenn es zu den individuellen Lerninteressen und Lernmöglichkeiten passt. 

Erwachsenenbildung stärkt eigenständiges Denken und Handeln.

Als kompetent gilt eine Person, die in unbekannten Situationen abseits der Routine handlungsfähig ist. Sie nutzt ihr Wissen und Können, um eine Lösung zu finden. 
Unternehmen haben ein Interesse daran, solche Kompetenzen zu fördern.
Sich zu bilden heißt, grundlegende Kompetenzen fortwährend weiterzuentwickeln: Situationen aufgrund von Wissen wahrzunehmen und zu deuten, sich in die Perspektive anderer hineinzudenken, in einen Dialog mit Andersdenkenden zu treten, eingeübte Denk- und Deutungsmuster zu überprüfen, sich offen zu halten für Neues …

Wer ein Bildungsangebot nutzt, erwirbt Kenntnisse, findet Antworten auf seine Fragen, übt neue Fähigkeiten ein, oder – ganz allgemein – erweitert den eigenen Horizont.

Ethisches und spirituelles Lernen erfordert Freiheit und Respekt.

Für ethisches und spirituelles Lernen gilt, dass jede Person Impulse in ihrer eigenen Weise und aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen und Einschätzungen verarbeitet. Bildungsangebote, die Werte und Überzeugungen berühren, erfordern Respekt und Dialogbereitschaft innerhalb der Gruppe. Die Teilnehmenden prüfen selbst, ob religiöse Impulse für ihr Leben und für die Bewältigung beruflicher Herausforderungen tauglich sind. Ethische und spirituelle Erwachsenenbildung bietet geschützte Räume, in denen Teilnehmende sich für religiöse Themen öffnen können.

Erwachsene lernen im Miteinander.

Teilnehmende profitieren vom Austausch oft mehr als von Vorträgen: Die Sichtweisen von Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichen Herausforderungen kennenzulernen, erweitert den eigenen Horizont. Manche trockene Theorie gewinnt an Praxisrelevanz im Austausch von Erfahrungen. Teilnehmende werden gefordert, ihre Gedanken zu formulieren, im Erklären reifen die eigenen Gedanken. Beim gemeinsamen Diskutieren und Üben können sie sich neues Wissen und neue Handlungsmöglichkeiten aneignen.

Lernen geschieht im Alltag.

Lernen spielt sich nicht nur in Bildungsveranstaltungen ab. Was die Mitarbeitenden täglich im Arbeitsumfeld erleben, hat großen Einfluss auf ihr Denken und Handeln.  Bildung in Organisationen ist Teil der Organisationskultur, individuelles und organisationales Lernen sind eng verbunden.

Bildung balanciert zwischen den Erwartungen des Unternehmens und den Interessen der Teilnehmenden.

Erwachsenenbildung innerhalb von Organisationen spielt sich im Spannungsfeld zwischen den Erwartungen der Mitarbeitenden und den Bildungszielen des Unternehmens ab. Mitarbeitende sollen beispielsweise das diakonische Selbstverständnis des Trägers kennen, weil sie es sind, die durch ihre Arbeitsweise die Wertvorstellungen des Trägers erlebbar machen.

Lernprozesse, in denen es um Haltungen und Glaubensfragen geht, lassen sich jedoch nicht steuern – sie sind ergebnisoffen und ihre Ergebnisse unverfügbar. Gleichwohl bietet Erwachsenenbildung kommunikative Räume für eine Auseinandersetzung mit Sinn- und Werteorientierungen – eine Voraussetzung dafür, dass die Wertegrundlagen der Organisation mitgetragen werden. Dies ist insbesondere für Unternehmen wichtig, deren Basis der christliche Glaube ist.

Bildung ist eine wichtige Aufgabe der Diakonie.

Um ein diakonisches Profil herauszuarbeiten und eine diakonische Kultur zu fördern, wurden zahlreiche Bildungsangebote für Mitarbeitende entwickelt, von Studientagen im Rahmen der Einarbeitung neuer Mitarbeitender bis hin zu Langzeitweiterbildungen für Mitarbeitende und Führungskräfte. Nicht zu vergessen die Ausbildung von Diakoninnen und Diakonen sowie diakoniewissenschaftliche Studienangebote an Fachhochschulen und Instituten.

Auf der anderen Seite wird Bildungsarbeit als diakonische Aufgabe aufgefasst: Diakonische Träger bieten Bildungs- und Beratungsangebote für Menschen, die sonst nur schwer Zugang zu Bildung haben.

Die dritte Form von diakonischer Bildungsarbeit sind Projekte an Schulen und im Rahmen des Konfirmationsunterrichts. Sie dienen dem sozialen Lernen, indem sie Einblicke in die Lebenswirklichkeit hilfebedürftiger Menschen ermöglichen.

Literatur / Links

Erwachsenenbildung

Im Folgenden sind einige der wissenschaftlichen Beiträge aufgelistet, die mir in meinen eigenen Lernprozess als Erwachsenenbildnerin zu wichtigen Erkenntnissen verholfen haben:

Konstruktivistische Erwachsenenbildung

Arnold, Rolf (2015): Systemische Erwachsenenbildung. Die transformierende Kraft des begleiteten Selbstlernens. 2., unveränd. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren (Systhemia, 10).

Glasersfeld, Ernst von (Hg.) (1987): Wissen, Sprache und Wirklichkeit. Arbeiten zum radikalen Konstruktivismus. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag (

Glasersfeld, Ernst von (1997): Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Scheible, Annette (2014): Der radikale Konstruktivismus. Dissertation (Religionsdidaktik konkret, Band 7).

Siebert, Horst (2011): Lernen und Bildung Erwachsener. 1., Aufl. Bielefeld: Bertelsmann, W (Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen, 17).

Diakonische Bildung für Mitarbeitende

Horstmann, Martin (2011): Das Diakonische entdecken. Didaktische Zugänge zur Diakonie. Heidelberg: Winter (Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, Bd. 46).

Drews-Galle, Veronika; Hofmann, Beate (2018): Diakonische Bildung. In: Thorsten Moos, Beate Hofmann, Jürgen Gohde (Hg.): Diakonische Kultur. Begriff, Forschungsperspektiven, Praxis. Unter Mitarbeit von Joachim L. Beck, Matthias Benad, Veronika Drews-Galle, Johannes Eurich, Norbert Friedrich, Hendrik Höver et al. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer (Diakonie, Band 16), S. 200–212.

Ricker, Helke (2019): Sinne schärfen – Sinn finden – Sinn stiften. Profilbildung in diakonischen Einrichtungen. Unter Mitarbeit von Sven Quittkat. Stuttgart: Kohlhammer Verlag.

Religiöse und spirituelle Erwachsenenbildung

Hilberath, Bernd Jochen; Scharer, Matthias (2012): Kommunikative Theologie. Grundlagen – Erfahrungen – Klärungen. Ostfildern: Grünewald (Kommunikative Theologie, 15)

Lück, Wolfgang; Schweitzer, Friedrich (1999): Religiöse Bildung Erwachsener. Grundlagen und Impulse für die Praxis. Stuttgart: Kohlhammer.

Evangelische Kirche in Deutschland (2005): Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft. eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. 3. Aufl. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus. Online verfügbar unter https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/masse_des_menschlichen.pdf, zuletzt geprüft am 04.06.2021.