„Wie kann man an einen Gott glauben, der ans Kreuz genagelt ist?“
„Im Konfirmationsunterricht wurde gesagt: ‚Gott beschützt dich!‘ Aber dann ist meine Mutter gestorben. Warum hat Gott ihr nicht geholfen?“
„Ob ich an Gott glaube oder an den Regenbogen – was macht das für einen Unterschied? Hauptsache ich habe etwas, das mich trägt.“
„Ich glaube an den Urknall.“
„Ich will nicht über Religion reden. Das gibt immer Streit.“
So lauten Aussagen, wie ich sie in Gesprächen zu hören bekomme. Sie weisen darauf hin, was es vielen Menschen heute schwierig macht, dem christlichen Glauben oder Religion im Allgemeinen etwas abzugewinnen: Traditionelle Gottesvorstellungen sind nicht mehr „glaub“-würdig, naturwissenschaftliche und religiöse Weltdeutungen erscheinen unvereinbar. Religion verbindet die Mitglieder der Gesellschaft nicht mehr, vielmehr gibt es eine Vielzahl religiöser Gemeinschaften und eine unübersichtliche Fülle religiöser Vorstellungen. Religion ist für viele nicht mehr sinnstiftend, sondern verwirrend, nicht mehr orientierend, sondern irritierend. Doch der Wunsch nach etwas, das trägt, wenn es im Leben hart auf hart kommt, ist bei vielen Menschen vorhanden. Die Suche nach Nahrung für Geist und Seele findet in vielfältigen Formen von Spiritualität ihren Ausdruck.
Daher meine These: Theologie ist nötig. Wo sonst könnte dem Fragen und Suchen, Glauben und Zweifeln von Menschen Geltung verschafft werden?
Theologie fragt nach dem tragenden Grund und der Quelle des Lebens.
Wer Freude am Wort Gottes hat und nach göttlicher Weisung für sein Leben fragt, ist wie ein Baum am Wasser: Auch bei Hitze und Dürre bleiben seine Blätter grün und seine Früchte werden reif. (Nach Psalm 1)
Theologie gibt sich mit dem Sichtbaren und Offensichtlichen nicht zufrieden, sondern sucht nach der verborgenen Wahrheit hinter den Dingen. Sie fragt immer aufs Neue nach der Bedeutung des göttlichen Wortes für das Leben hier und jetzt und bewahrt das Wissen um die Quelle des Lebens.

Theologie dient dem Leben.
Biete ich Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern eine Lebensdeutung aus dem christlichen Glauben an, scheint es oft, als würden sie diesen Gedanken prüfen, wie man einen wackeligen Steg über einem Abgrund prüft: Wird er mich tragen?
Theologie ist kein Selbstzweck: Ihre Aufgabe ist, die geistigen Schätze des Glaubens und der religiösen Tradition so zu erschließen, dass Menschen, die auf der Suche sind, Orientierung finden.
In der diakonischen Arbeit geht es um existenzielle Fragen: Pflegende werden von schwerkranken Patienten mit der Frage nach dem Warum konfrontiert, Mitarbeitende nehmen Anteil an den Fragen von Menschen am Lebensende oder an den Zukunftsfragen junger Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Management diakonischer Einrichtungen kann die Frage sein, wie sich Theologie und Ökonomie zueinander verhalten sollen, und wie man das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit glaubwürdig gestalten kann.
Theologie in der Diakonie ist Alltagstheologie – der Alltag in der Diakonie wird zum Ort theologischen Fragens und theologischer Erkenntnis.
Theologie reift im Dialog.
Theologie nimmt Glaubende als Gesprächspartner im Sinne des allgemeinen Priestertums ernst – Theologie kann den Dialog mit Glaubenden, Suchenden und Nichtglaubenden als Ort theologischer Erkenntnis begreifen. Theologie hört zu, setzt sich mit existentiellen Fragen und Glaubensthemen der Menschen auseinander, reflektiert diese und bringt neue Impulse in den Dialog ein.
TheologInnen in der Diakonie stehen im Dialog mit Mitarbeitenden aller Professionen. Theologie steht im Diskurs mit anderen Wissenschaften – mit Naturwissenschaften ebenso wie mit Geistes- und Kulturwissenschaften. Christliche Theologie sucht den Dialog mit anderen Religionen.
Theologische Erkenntnis entsteht an unterschiedlichen Orten.
Theologie als Reflexion des Glaubens kann sich auf verschiedenen Ebenen vollziehen: einer wissenschaftlichen und einer alltäglichen.
Theologie lässt sich als Reflexion des christlichen Glaubens verstehen. Mit dem Begriff Theologie ist zumeist die Vorstellung von einem Hochschulstudium verknüpft: die wissenschaftliche Herangehensweise an die Bibel und eine Fachsprache aus dogmatischen Begriffen. Reflexion des eigenen Glaubens ist aber grundsätzlich allen Menschen möglich. Theologie in der Diakonie ist nicht nur eine Angelegenheit von Pfarrerinnen und Pastoren, sondern potenziell aller Führungskräfte und Mitarbeitenden.
Theologie übt sich in der Kunst des Verstehens.
Hermeneutik ist eine der theologischen Kernkompetenzen. Hermeneutik ist – kurzgefasst – die Kunst des Verstehens und des Verständlich-machens. Theologie will nicht nur die Glaubenszeugnisse der Bibel und christlichen Überlieferung verstehen, sondern auch das Glauben und Denken der Menschen, und will verständliche Antworten auf die Fragen von heute finden. Theologie versucht, die Sprache zu verstehen, in der Menschen ihre Glaubensvorstellungen zum Ausdruck bringen. In Erwachsenenbildung und Seelsorge werden Menschen angeleitet, sich selbst besser zu verstehen. Auf der Ebene des Managements diakonischer Organisationen begegnet Theologie unterschiedlichen Professionen und ihren Denkweisen und sucht die Verständigung.
Mit einer hermeneutischen, verstehenden Herangehensweise geht Theologie Wertvorstellungen und Werturteilen auf den Grund. Theologie erschließt die Weisheit der Religion für heutige Menschen und legt Grundlagen für Lebensphilosophien und ethische Orientierungen. Theologie legt es darauf an, die Bedeutung der Gottesbeziehung für das Leben in der Welt von heute zu erschließen.